Studie Vom Staat im Stich gelassen
"Rückkehr zu den politisch Verlassenen": So lautet der Titel einer Studie des Politikberaters Johannes Hillje. Er wollte damit die Ursachen für die hohen Wahlergebnisse für die AfD oder den Front National tiefer erforschen. Ein Ergebnis: Nährboden für den Erfolg der Parteien ist die Unzufriedenheit vieler Menschen im eigenen Lebensumfeld.
- Der Bus kommt nicht, der Lohn ist zu knapp, die Miete zu hoch: Viele der für die Studie Befragten nannten alltägliche Dinge, die sich verschlechtert hätten. (dpa-Zentralbild)
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"Dass wir immer weniger Geld kriegen von der Arge, dass uns alles gekürzt wird. Aber die Flüchtlinge, die nach uns kommen, denen werden die Wohnungen eingerichtet."
"Alles nur noch gequirlte Scheiße, in Deutschland. Das geht doch hier gar nicht mehr ums normale Volk."
"Unser Ansatz war es, denjenigen zuzuhören, über die oft geredet wird im öffentlichen Diskurs, aber die ganz selten selber zu Wort kommen", sagt Kommunikationsberater Johannes Hillje, der mit dem "Progressiven Zentrum" die Studie ausgearbeitet hat und einige dieser Stimmen in einem Begleitfilm zeigt.
500 Haustürinterviews in Frankreich und Deutschland
"Es waren ganz offene Fragen, was ist das größte Problem in Deutschland, was läuft gut, was läuft schlecht in ihrem Stadtteil?"
500 Haustürinterviews in Frankreich und Deutschland, hier in jeweils drei Städten in West und Ost, die gut eine halbe Stunde lang gingen, bilden die Grundlage.
"Es gibt eine Enttäuschung über Politik, es gibt auch eine Enttäuschung über politische Praxis."
In beiden Ländern Deutschland und Frankreich wurde im vergangen Jahr gewählt, in beiden Ländern konnten Rechtspopulisten einen Aufschwung verbuchen. Woran liegt das? Wollte Hillje wissen - seine wichtigsten für Deutschland Schlüsse aus der Studie:
Der Kommunikationsberater Johannes Hillje (Erik Marquardt / privat )
"Aus ihrer Sicht wäre es die richtige Priorisierung, wenn erst mal die Probleme aus ihrem eigenen Lebensumfeld, aus ihrer eigenen Realität bearbeitet werden würden. Und dann die Probleme, die wir in der großen weiten Welt sehen. Eine solche Einstellung ist meines Erachtens auch der Nährboden für eine 'Deutschland zuerst'-Strategie, bzw. 'Deutschland zuerst'-Kurs."
Alltagsnahe Dinge, die sich zum Schlechteren verändert haben
Mitunter geht es um sehr alltagsnahe Dinge, die sich zum Schlechteren verändert haben: der Bus fährt nicht mehr, der Lohn ist zu knapp, die Miete zu hoch. Überraschend: die Interviews aus jeweils drei AfD-Hochburgen, in Ost-und Westdeutschland unterschieden sich kaum im Antwortverhalten, so Hillje.
Es werde zu viel für die Außenpolitik und zu wenig für die innere Sicherheit getan, so ein Tenor. Ein Gefühl des Verlassenseins durch den Staat wird in der Wahrnehmung verstärkt durch die Flüchtlingskrise.
Teilnehmer der AfD-Kundgebung im pfälzischen Kandel ziehen durch die Innenstadt (Andreas Arnold / dpa)
Die AfD kann von der Unzufriedenheit und Angst vieler profitieren. Am Dienstag sagte der parlamentarische Geschäftsführer Bernd Baumann zum Wählerauftrag:
"Tausende, Zehntausende, von denen wir überhaupt nicht wissen, wer im Land ist. Das ist eine solche Katastrophe, dass eine Partei, die es gerade erst mal vier Jahre gibt, schon in Umfragen vor zehn Tagen schon an der SPD vorbeigekommen ist und zweitstärkste Partei war. Wo ist denn so was möglich? Das ist natürlich ein wichtiges Feld, innere Sicherheit natürlich auch."
Politik muss sich das Vertrauen der Menschen wieder neu verdienen
"Also ich sehe, dass die AfD nur eine einzige Folie hat, die Geflüchteten", widerspricht Petra Pau, Bundestagsabgeordnete der Linken, die ihren Wahlkreis in Marzahn-Hellersdorf seit vielen Jahren direkt gewinnt, aber wo die AfD mit über 20 Prozent auf Platz zwei lag. Ein Teil der Interviews wurde in Marzahn geführt.
Was also tun? Die Studie "Die Verlassenen" beschränkt sich nicht nur auf eine Zustandsbeschreibung, sondern gibt auch Handlungsempfehlungen an die Politik ab, die müsste sich das Vertrauen der Menschen wieder neu verdienen. Zum Beispiel durch Präsenz vor Ort.
Petra Pau zu ihrer Strategie: "Ich bin so oft, es irgendwie geht, dort, wo Menschen in meinem Wahlkreis zusammen kommen. Sich auch organisieren. Oder diskutieren. Oder sei es eben auch das Volksfest. Und ich bin für diese Menschen ansprechbar im Alltag. Ich kann nicht jedes persönliche Problem lösen, aber an vielen Stellen nehme ich ihre Argumente mit und trage sie hier in die Auseinandersetzung im Bundestag, so dass sie sich auch hier wiedererkennen können."