Kommentar

Berlin: Ein Teilnehmer hält vor einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen eine Reichsflagge vor dem Brandenburger Tor | Bildquelle: dpa

Kommentar Keine Distanz

Stand: 30.08.2020 14:10 Uhr

Wer mit Rechtsextremen gemeinsame Sache macht, vertritt keine legitimen Interessen. Die Demonstrierenden in Berlin haben sich damit selbst diskreditiert. Die nachträgliche Distanzierung kommt zu spät.

Ein Kommentar von Wenke Börnsen, tagesschau.de

Das Virus ist eine demokratische Zumutung, hat Angela Merkel mehrfach betont - und sie hat recht. Freiheitsrechte werden eingeschränkt, das Alltagsleben ist auf den Kopf gestellt. Das alles kann man ebenso kritisieren, wie einzelne Maßnahmen von Bund und Ländern. Man kann die Verhältnismäßigkeit der Einschränkungen infrage stellen oder sogar Corona insgesamt bezweifeln und für diese Überzeugung auf die Straße gehen - das ist Demokratie und die hält das aus.

Auch wenn die Bilder von den Demonstrationen in Berlin eine demokratische Zumutung sind. Nicht nur, weil vielen Demonstrierenden offenkundig völlig egal ist, ob sie mit ihrem Verhalten weiter zur Verbreitung des Virus beitragen und damit andere Menschen gefährden.

Gemeinsam mit Rechtsextremen marschiert

Vor allem haben die Demonstrierenden gezeigt, dass es ihnen egal ist, wenn sie gemeinsam mit Rechtsextremen marschieren. Sie haben die Reichskriegsflaggen in ihren Reihen geduldet, es gab im Vorfeld und auch während der Demonstration keine öffentliche Distanzierung, keinen Protest. Und damit haben sie sich selbst diskreditiert. Wer mit Rechtsextremen gemeinsame Sache macht, vertritt keine legitimen Interessen. Oder, wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier formuliert: "Mein Verständnis endet da, wo Demonstranten sich vor den Karren von Demokratiefeinden und politischen Hetzern spannen lassen."

Dass sich der oberste "Querdenker", Michael Ballweg, heute von dem rechtsextremen Aufmarsch und der Gewalt vor dem Reichstag öffentlich distanziert, kommt nicht nur zu spät, sondern ist auch reichlich wohlfeil. Warum wurden die Nazis nicht schon während oder vor der Demo zu unerwünschten Personen erklärt?

Gezielte Mobilisierung

Vielmehr war klar, was kommen würde. Keiner kann sagen, er habe von Nazis nichts gewusst. Denn schon bei der ersten "Querdenken"-Demo am 1. August mischten sich Rechtsextremisten unter die Demonstrierenden, diesmal riefen sie gar zum "Sturm auf Berlin" auf. Gezielt mobilisierten sie seit Wochen ihre Anhänger - Reichsbürger, Ex-NPDler, Identitäre, aber auch AfD-Rechtsaußen. Vereint im Kampf gegen das "System" kommt ihnen der Corona-Protest gerade recht. Der Verfassungsschutz warnt seit Längerem, dass Rechtsextremisten versuchen, die Proteste zu unterwandern und rechtsextremes Gedankengut anschlussfähig zu machen.

Unterschiede zur Flüchtlingskrise

Es ist der gleiche Mechanismus wie zur Zeit der Flüchtlingskrise. Auch vor fünf Jahren gab es viel Verunsicherung und diffuse Ängste - idealer Nährboden für Verfassungsfeinde.

Doch es gibt entscheidende Unterschiede zu damals: Hatte man 2015/2016 der Bundesregierung und hier vor allem Angela Merkel vorgeworfen, ihre Politik zu wenig zu erklären und damit im Nachhinein den Aufstieg von "Pegida" und AfD erleichtert zu haben, kann davon jetzt keine Rede sein. Fast kaum ein Tag vergeht inzwischen, an dem Merkel nicht ihre Corona-Politik erklärt, Maßnahmen oder auch Kurswechsel begründet - mal solo in TV-Ansprachen oder zuletzt in ihrer Sommer-PK, oft auch zusammen mit den Ministerpräsidenten.

Übergroße Mehrheit unterstützt Corona-Auflagen

Ja, das Virus verunsichert, die Einschränkungen sind für einzelne Bevölkerungsgruppen hart - auf Ebene des menschlichen Miteinanders, aber für viele Menschen auch finanziell. Wer sehnt sich nicht nach seinem alten Vor-Corona-Leben zurück? Doch das Virus ist Realität und es bleibt eine gesundheitliche Gefahr für alle, bis es Medikamente oder Impfstoffe gibt. Die große Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland lebt mit dieser Realität, befürwortet laut DeutschlandTrend die Corona-Maßnahmen oder findet sogar, sie gingen nicht weit genug. Nur elf Prozent lehnen die Auflagen als zu weitreichend ab. Das sind immer noch viele Menschen, wie die Demos in Berlin gezeigt haben - aber das ist ganz sicher nicht die Mehrheit.

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Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 29. August 2020 um 23:15 Uhr.

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