Die erschöpfte Gesellschaft der Angst ist mehr. Sie ist ein Symptom der Krise unseres Wirtschaftssystems. Das dauernde Gefühl der Überforderung von Millionen von Menschen ist das Produkt des selbst auferlegten Zwanges, nicht nur die Grenzen der Ressourcen der Natur dauerhaft zu überschreiten, sondern auch die Leistungsfähigkeit der Menschen über ihre psychischen Grenzen hinaus immer weiter zu steigern.
Die erschöpfte Gesellschaft der Angst ist daher keine Summe privater Probleme von einzelnen Individuen. Sie ist das Symptom einer Begrenzungskrise – ebenso wie die Verwerfungen an den Finanzmärkten und die Zerstörungen der Umwelt. Sie ist ein politisches Problem.
Doch Stress und Angst als dominierende Seelenzustände der Deutschen finden bisher so gut wie keinen Widerhall in der Politik. Denn dort trift sie auf das schiere Unverständnis des sozialdemokratischen Fortschrittsglaubens, der alle Parteien erfasst hat. Der parteipolitische Betrieb scheint genauso im endlosen Autopilotenstatus der scheinbaren Ausweglosigkeit wie das gestresste Volk.
Und Angela Merkel vermittelt das einlullende Gefühl, dass es irgendwie immer so weitergeht, wenn alle fleißig weiterstrampeln. „Unter Dauerstress mutieren wir vom klar denkenden Menschen zum kopflos rennenden Hamster“, schreiben Unger und Kleinschmidt. Der gestresste Mitarbeiter reagiert auf alle Belastungen mit noch mehr Arbeit, bevor er zusammenbricht. Genauso sucht die Politik das Heil im Vorwärts - wo auch immer das hinführt. Hauptsache, nicht stehenbleiben.
Ansprüchen des ökonomischen Wettbewerbs
Doch Stress endet erst, wenn man innehält; wenn man sich seiner Freiheit bewusst wird und sie sich nimmt. Allerdings ist die Freiheit vor den übergriffigen Ansprüchen des ökonomischen Wettbewerbs derzeit nicht im politischen Angebot. Die Aufgabe künftiger Liberaler könnte sein, nicht nur die Freiheit zur Wirtschaft, sondern auch ein gewisses Maß an Freiheit des Individuums vor der Wirtschaft einzufordern.
Kollektive Ängste sind nicht einfach zu vertreiben. Aber sie sind leichter zu bewältigen, wenn man weiß, wo man steht und wo man herkommt. Überlieferte Traditionen und bewährte gesellschaftliche Einrichtungen geben Menschen stets Halt. In der zunehmend als haltlos empfundenen, zusammengeschrumpften und durcheinandergewirbelten Welt muss konservative Politik die psychischen Ressourcen der Menschen ebenso zu verteidigen wie die der Natur.
Dass man im aktuellen Bundestag keine echten Liberalen und kaum noch bekennende Konservative antrifft, heißt nicht, dass es keine liberalen und konservativen Bedürfnisse mehr gibt. Stress und Angst als Seelenzustände weiter Teile der Bevölkerung rufen nach im Wortsinne liberaler und konservativer Politik, die aber nicht im Angebot ist. Noch nicht.