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Einblick

Gruppenzwang im Bundestag

Keine Sternstunde des Parlamentarismus: Der Bundestag hat die Regierung gerettet, nicht aber Griechenland oder Europa.

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Bundestag, Angela Merkel Quelle: AP

Fangen wir mit dem Ende an: Der Deutsche Bundestag hat am Mittwoch ein drittes Hilfspaket für Griechenland über 86 Milliarden Euro genehmigt. Nicht wenige Menschen haben nach der Entscheidung kurz aufgeatmet: Endlich ist das endlose Gezerre um Griechenland vorbei. Aber das stimmt ja gar nicht. Nichts ist vorbei. Es fängt gerade erst so richtig an.

Am Mittwoch sind wir Zeugen eines der größten politischen Kollektivierungsprogramme geworden, die es bisher gegeben hat. Für die Einheit Europas, ein wahrhaftig und ohne jede Abstriche wertvolles Ziel, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel ein neues Rettungsprogramm geschaffen: die Europäische Konsensstabilisierungsfaszilität. In volatilen Meinungsmärkten verleiht sie Macht durch Zustimmungsgarantie. In diesem Programm ist das dritte Rettungspaket für Griechenland alternativlos, wie vieles, was diese Bundesregierung den Deutschen perspektivisch serviert. Und weil alles so alternativlos ist, merkt manch einer gar nicht, dass die Perspektive verrutscht. Gerettet wird nicht in erster Linie Griechenland, auch nicht Europa, das weit mehr ist als die Euro-Zone.

"Das ist ein eindeutiges Misstrauensvotum gegen die Verhandlungen"
Wolfgang Schäuble Bundestag Griechenland Quelle: dpa
Wolfgang Schäuble Bundestag Griechenland Quelle: dpa
Thomas Oppermann Griechenland Bundestag Quelle: dpa
Klaus-Peter Willsch, Bundestag Quelle: dpa
Anton Hofreiter Bundestag Griechenland Quelle: dpa
Clemens Fuest Griechenland Quelle: Reuters
Gregor Gysi Bundestag Quelle: dpa

In der Europäischen Konsensstabilisierungsfaszilität zählen begründete Einwände, Zweifel oder gar faktische Gegenargumente nicht. Alternativlos ist das Rettungspaket, weil ein Grexit die Stabilität Europas gefährden würde, auch wenn Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, wie viele andere Beteiligte mit ausgewiesener Expertise, das anders sehen.

Alternativlos ist der Verzicht auf einen Schuldenschnitt, der formal innerhalb der Euro-Zone nicht möglich ist, während die Vertagung der griechischen Schuldenrückzahlung auf 60 Jahre plus nichts anderes ist. Wenn man langsam schneidet, tut es halt länger so schön weh.

Alternativlos ist die Logik Reformen gegen Geld, die dieses Mal ganz sicher halten wird, was in allen vorherigen Runden nur versprochen wurde. Da möge man auch bitte nicht zu viel über die Frage nachdenken, wie Griechenlands Wirtschaft über Investitionen und Exporte endlich in Gang kommen kann, denn dafür ist in dem 86-Milliarden-Paket nicht viel Geld vorgesehen.

Und alternativlos ist auch die Zustimmung zur Rettung gegen alle individuellen und begründeten Bedenken. „Selbstverständlich“ ist für die Bundeskanzlerin jeder Abgeordnete frei in seiner Entscheidung. Aber nur in den Grenzen der Geschäftsordnung des Bundestags, die sich in diesem Fall zielgerecht auf Gehorsam auslegen lässt.

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Dieses Mal haben immerhin 63 Unionsabgeordnete mit Nein gestimmt. Sie wissen schon jetzt, in welchen Ausschüssen sie künftig unerwünscht sind.

Was ist nun am Mittwoch gerettet worden? Vielleicht die Machtposition der Bundeskanzlerin und der Unionsparteien. Kaum die Zukunft Griechenlands oder der Euro-Zone. Und ganz sicher nicht eine demokratische Kultur, die auf freier Entscheidung des Einzelnen aus begründeter Überzeugung beruht.

Wir sollten eine Lehre daraus ziehen. Bei Entscheidungen, bei denen die Abgeordneten über eine Zukunft bestimmen, die sie selbst nicht mehr erleben, darf es keinen Fraktionszwang geben. In einer solchen Situation sollte jeder schlicht und klar dem eigenen Gewissen verantwortlich sein. Ach, jetzt fällt mir ein, so steht es ja schon in Artikel 38 Grundgesetz.

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